Invasion der grünen Teufel
Das Licht warf lange bizarre Schatten unter der Tür durch.
Robin vernahm das Klappern eiliger Schritte, verbunden mit einem eigenartigen Quietschen rollender Räder, das sich anhörte, als ob ein Wagen vor sich hergeschoben würde. Er war gerade erst aufgewacht und fand sich nun völlig bewegungsunfähig und orientierungslos in einem dunklen Raum wieder. Ein anderes Geräusch, das in ihm eine unangenehme vage Erinnerung an seine Kindheit auslöste, bahnte sich den Weg zu seinem Gehör.
Pieps… Pieps… Pieps…!
Er hielt den Atem an und lauschte. Pieps… Pieps… Pieps…! Ihm fröstelte. Nein, ihm war heiss! Oder doch kalt? Nein heiss! Und mit dem plötzlichen Erwachen seines Bewusstseins fühlte er Schmerzen. Sein Schädel dröhnte und hämmerte, als ob jemand von innen heraus sein Hirn mit einem Presslufthammer bearbeitete. Aber das alles war nichts, gegen den unsäglichen brennenden Schmerz in seiner Wade, der sich langsam, heiss und pochend einen Weg hinauf zu seinem Knie bahnte. Er wollte schreien, doch irgendetwas steckte in seinem Mund, seiner Kehle fest. Panik ergriff von ihm Besitz und drohte ihn zu ersticken. Atme, atme! War alles, was sein Unterbewusstsein noch seinem vernebelten Verstand übermitteln konnte, bevor er die Augen verdrehte und wieder alles um ihn herum schwarz wurde.
Dann glaubte er wieder Schritte zu hören. Jemand hob eins seiner Augenlieder an und ein grelles Licht blendete ihn. Während kühle Hände sein schmerzendes Bein abtasteten.
„Wenn das Antibiotika in den nächsten Stunden nicht anschlägt, wird er das Bein verlieren!“
„Armer Kerl. Hoffen wir, dass er den Kampf gegen die Infektion gewinnt!“ Die Stimmen verstummten und gleichzeitig entfernten sich die Schritte wieder. Die Türe klickte leise ins Schloss. Was, was haben sie gesagt? Bein verlieren… Kampf gewinnen? Robin versuchte aus dem Gesagten schlau zu werden, doch er konnte die einzelnen Worte nicht zu verständlichen Sätzen zusammen fügen. Zumal sein Gehirn im Moment nur ein bestimmtes Geräusch bewusst in seinem schwindenden Verstand einzuordnen vermochte. Pieps… Pieps… Pieps…!
Er schrak hoch und gleissend helles Sonnenlicht blendete ihn. Benommen hob er den Kopf und sah einen schwarzen Gegenstand auf ihn niedersausen. Im letzten Moment konnte er sich zur Seite rollen und der drohenden Gefahr ausweichen. Eine Obsidian schwarze Beilklinge steckte einen Fingerbreit neben seinem Gesicht in der Erde und wurde soeben wieder herausgezogen. Schnell sprang Robin auf die Beine und sah sich einer unheimlichen Kreatur gegenüber, die ihn ohne Vorwarnung erneut mit dem Beil angriff. Robin blieb keine Zeit zum Überlegen. Er duckte sich unter der herabsausenden Klinge des Gegners hindurch und rettete sich mit einem langen Satz hinter die Kreatur. Gleichzeitig zog er sein Schwert, holte aus und trennte mit einem Schlag dem Gegner den Kopf von den Schultern. Im Augenwinkel bemerkte er eine weitere Bewegung. Er wirbelte herum und eine krallenbesetze Klaue schrammte über sein Gesicht. Doch seine schnelle Reaktion, mit einem geduckten Sprung zur Seite, hatte ihm das Leben gerettet. Sein Puls raste. Schnell trat er mit einem Ausfallschritt zur Seite, duckte sich vor einem weiteren Hieb und stach mit der Klinge zu. Sein Gegner brüllte und fiel rücklings, wie ein gefällter Baum. Doch schon stürzte sich mit geballter Wut der nächster Feind auf ihn. Robin hob das Schwert, den Griff auf Gesichtshöhe, sodass die Klinge senkrecht nach oben schaute und verharrte. Die Kreatur reagierte, wie erwartet, hob die Klaue zum Schlag und glaubte sich dabei schon siegessicher. Doch Robin reagierte Blitzschnell, machte einen grossen Schritt nach links aussen und durchtrennte mit einem Querschnitt seinem Gegner Muskeln und Sehne unter dem Achselbereich, noch bevor dieser überhaupt seinen Arm zum Schlag senken konnte. Der Feind taumelte, drehte sich zur Seite und sah ihn überrascht aus dunklen glasigen Augen an. Robin zögerte keinen Moment und beendet den Kampf mit einem einzigen gezielten Schwerthieb. Sein Gegner fiel auf die Knie, schaute mit leerem Blick in die Ferne, dann rutschte plötzlich sein Kopf von den Schultern und der kopflose Körper klatschte längs ausgestreckt auf den Boden. Robin atmete schwer und Schweissperlen klebten ihm auf der Stirn. Er schaute sich um, doch es waren keine weiteren Gegner mehr in Sicht. Mit einer raschen geschickten Handbewegung schüttelte er das Blut von der Klinge ab und steckte sie dann zurück, in die Scheide. Dann fuhr er sich mit dem Arm über sein schweissnasses zerschundenes Gesicht. Drei von ihnen hatte er erledigt, aber es werden noch mehr folgen, denn diese waren bestimmt nur die Vorhut gewesen. Besorgt blickte er zum Himmel empor. Drohend klaffte ein riesiges Loch, wie zu eine anderen Dimension, direkt über ihm und färbte das sonst rosafarbene Himmelszelt mit seinen hellstrahlenden Zwillingssonnen je länger wie mehr rostbraun. Und diese drei fremden Eindringlinge waren einfach direkt vor seinen Augen daraus hervorgestürzt, hart auf dem Boden gelandet und hatten ihn ohne Vorwarnung einfach angegriffen. Er senkte wieder den Blick und betrachte genauer die von seiner Klinge getöteten Feinde. Noch niemals zuvor hatte er solche Wesen gesehen. Grauenvolle grüne Kreaturen mit riesigen schwarzen Augen und Buckelhörner auf der Stirn. Ihre langen Arme mit furchterregenden Klauenhände, reichten ihnen bis zu den Knien. Der Oberkörper aufgedunsen und mit unzähligen winzigen Stacheln versehen, wirkte unproporzional zu den eher dünnen stelzen artigen Beinen. Noch einmal schaute er zum Himmel auf. Und als ob seine Gedanken, diese fremden Eindringlinge herauf beschworen hätten, fielen sie in Massen aus der blutroten Öffnung vom Himmel. Er hätte gegen eine solche Übermacht keine Chance, also tat er das Einzige, was er in seiner Situation tun konnte. Er floh. Dabei sprang er in die Höhe und entfaltete seine langen Schwingen. Und so schnell, wie seine Flügel ihn tragen konnten, raste er davon, gefolgt von den laut kreischenden Kreaturen, die sich am Boden eine breite Wegschneise durch Wälder und Felder pflügten.
Er landete sanft vor dem Königlichen Palast und faltete schnell seine langen Schwingen hinter dem Rücken zusammen. Majestätisch erhob sich das riesige Schloss mit seinen goldenen Dächern und den vier Wehrtürmen vor ihm empor. Eine breite Treppe führte zum Haupteingangstor hinauf und wurde von Wächtern der königlichen Garde bewacht.
„Robin!“ Moira packte ihn von hinten am Arm, sodass er sich zu ihr umdrehen musste. Sie lächelte ihn freudestrahlend an, doch als sie sein ernstes und blutverschmiertes Gesicht bemerkte, verdüsterte sich ihre Mine.
„Was ist passiert?“ fragte sie sogleich besorgt.
„Ich muss sofort deinen Vater sprechen!“ Er betrachtete sie jetzt ein bisschen freundlicher und wollte ihr mit der Hand über die Wange streicheln, doch im letzten Moment zog er sie wieder zurück, als er den Dreck und das eingetrocknete Blut an seinen Fingern bemerkte.
„Schlimme Dinge haben sich ereignet. Unser Land ist in grosser Gefahr!“ Sagte er stattdessen und starrte dabei auf ihren einladenden sinnlichen Mund. Er riss sich von dem Gedanken los, seine Lippen einfach auf die ihren zu drücken, denn dafür war jetzt keine Zeit. Zögerlich hob er wieder den Blick und sah ihr in die sorgenvollen hellblauen Augen. „Komm mit Moira, du wirst alles erfahren, wenn ich es gleichzeitig auch deinem Vater berichte.“ Ohne abzuwarten, ob sie ihm folgen würde, wandte er sich von ihr ab und eilte mit weit ausholenden Schritten die lange breite Treppe zum Schloss hinauf.
Der König schritt vom einem bis zu anderen Ende des geräumigen Zimmers und zupfte dabei gedankenversunken an seinem Kinnbart. Dann blieb er plötzlich stehen und drehte sich zu seinen beiden Besuchern um.
„Ich kann mich an eine Geschichte erinnern, die mir einst mein Grossvater erzählt hat, der sie wiederum von einem seiner Ahnen überliefert bekommen hatte.“ Er rieb sich mit dem gekrümmten Zeigefinger grüblerisch über den Nasenrücken, bevor er weiter redete.
„Vor Urzeiten drangen schon einmal solche Wesen in unser Reich ein und drohten sogar die ganze Welt in den Untergang zu stürzen. Unsere Vorfahren waren gegenüber dieser riesigen Übermacht, die zu Massen das Land überschwemmten, hilflos ausgeliefert. Doch wie durch ein Wunder, schloss sich der Riss zur anderen Dimension wieder und durch vereinte Kräfte gelang es ihnen schliesslich die Invasoren zu vernichten.“ Er blieb vor Robin stehen, drückt ihm sanft die Schulter, wobei sein Blick nun von kummervoller Sorge, aber auch von Angst sprach: „Mein Sohn, du bist ein tapferer und zudem unser bester Krieger. Nimm dir so viele Männer, wie du brauchst, um dem gegenüber zu treten, was uns bevorsteht. Denn sollte es euch nicht gelingen den Feind zurück zu schlagen, dann bewahre uns Gott! Geh und geh mit Gottes Segen!“ Der König tätschelte noch einmal Robins Schulter, senkte den Blick und drehte sich mit einer entlassenden Handbewegung ab.
Robin verneigte sich tief vor seinem König, machte auf dem Absatz kehrt und wollte gerade die königlichen Gemächer verlassen, als plötzlich laut posaunend Signalhörner ertönten. Alle drei eilten sofort zum nächsten Fenster und spähten gespannt nach draussen. Kampfgeschrei und das Klirren von Waffen drang von unten zu ihnen hinauf. Die grünen Teufel hatten bereits ihre Stadt erreicht! Schon wollte sich Robin vom Sims nach unten in das Kampfgetümmel stürzen, als ihn der König im letzten Moment am Arm packte und zurück hielt.
„Sieh doch nur!“ Er zeigte aufgeregt zum Horizont, wo sich der Blutrote Riss im Himmel plötzlich, wie von Geisterhand langsam schloss. Ein riesiges Heer fremdartiger Krieger, auf hohen Rössern und in prachtvollen silbernen Rüstungen, tauchte plötzlich wie aus dem Nichts auf und wälzte einfach die Übermacht der bösartigen grünen Kreaturen von hinten nieder. Und mit jedem Schlag, mit dem der Feind vernichtet wurde, erklang ein eigenartiger Ton. Pieps… Pieps… Pieps…!
Robin lehnte sich im Bett zurück und schloss die Augen.
„Was bin ich doch nur für ein Idiot“, dachte er verbittert, „das habe ich jetzt nun davon!“
Bilder kamen in ihm hoch, wie er vor einigen Tagen vor dem Spiegel im seinem Schlafzimmer stand und frustriert sein überschüssiges Bauchfett zu Wülsten zusammen drückte.
„Oh Mann, ich hab mich ja in letzter Zeit ganz schön gehen lassen. Dass muss alles wieder weg!“ schmollte er laut mit seinem eigenen Spiegelbild. Hastig suchte er im Schrank nach seinen neuen Laufschuhen, die er etwa vor einem Jahr im Ausverkauf günstig erworben hatte, oder war es vor zwei Jahren? Naja, ist doch egal, dachte er, Hauptsache ist, dass er jetzt endlich den Entschluss gefasst hatte etwas für seine Gesundheit zu tun. Verflixt und zugenäht, wo waren denn diese verdammten Dinger nur? Nervös schaute er auf seine Uhr. Breits schon viertel nach acht Uhr und er konnte einfach diese scheiss Schuhe nicht finden! Er wühlte aufgebracht in seinem Kleiderschrank herum. Er war sich sicher, dass er sie hier irgendwo verstaut hatte. Vielleicht hatte seine Schwester doch Recht und er sollte endlich einmal Ordnung in sein Junggesellenheim bringen.
„Na wer sagt’s denn, da seid ihr ja, kommt zu Papa!“ sagte Robin erfreut, als er zu guter Letzt doch noch fündig wurde. Hastig streifte er sich die Joggingschuhe über, die ihm, wie er zu seiner eigenen Verwunderung feststellte, immer noch wie angegossen passten und raste dann den Gang entlang zur Treppe. Er dachte dabei an Moira, seine neue Errungenschaft, die unten auf ihn wartete. Fünf Minuten, hatte er gesagt, fünf Minuten um sich rasch umzuziehen und dann wäre er gleich bei ihr. Bestimmt war sie schon sauer auf ihn, dass er sich bei ihrem ersten Date bereits verspätete. Nun ja, was heisst Date? Er hatte sie letzte Nacht in dieser Bar in der Innenstadt kennengelernt und sich mehr oder weniger gleich in sie verguckt. Sie hatte ihm vorgeschwärmt, wie sehr sie das Laufen in der freien Natur liebte und nun sogar für eine Teilnahme an einem Marathon trainierte. Und er Volltrottel, der er war, brachte es nicht über die Lippen ihr zu gestehen, dass er Joggen eigentlich überhaupt nicht mochte! Stattdessen gaukelte er ihr vor, dass er das Laufen ebenso liebte. Nein, lieber mühte er sich in Fitnesscentern ab, wo er gleichzeitig den Frauen zuschauen konnte, wie sie ihre schweissnassen Kurven trainierten. Doch durch den neuen zeitaufwendigen Geschäftsauftrag, der ihm für die nächsten zwei Jahre ein lukratives Einkommen sicherte, hatte er das Fitnessstudio nicht mehr so häufig aufgesucht. Was sich nun mit den Fettpölsterchen auf seinen Hüften bemerkbar machte.
Moira war natürlich gleich Feuer und Flamme von seinem spontanen Vorschlag, zusammen für den Marathon zu trainieren. Er selber hatte natürlich nie damit gerechnet, dass sie sofort darauf eingehen und sich dann gleich auch noch für den nächsten Tag mit ihm für den Lauf verabreden würde. Pünktlich um acht Uhr stand sie vor seinem Haus und läute sturm. Verschlafen und noch verkatert vom Vorabend hatte er die Tür geöffnet und wäre fast aus den Socken gekippt, als er Moira grinsend und in Trainingsmontur vor seiner Haustür vorfand. Hatte er es doch tatsächlich geschafft, sein erstes Date mit ihr zu verschlafen! Bin gleich bei dir, hatte er gestottert, muss mich nur noch schnell umziehen. Dann war er auch schon die Treppe hoch gesaust und hatte Moira einfach alleine vor dem offenen Hauseingang stehen lassen.
Und jetzt wartete sie unten an der Treppe und er Depp, musste nun ganz seinen Mann stehen und durfte sich auf keinem Fall die Blösse geben.
Erhobenen Hauptes und mit einem strahlendem Lächeln, das einer Zahnpaste Werbung alle Ehre machen würde, sah er zu ihr hinunter und nahm dann gleichzeitig drei Stufen auf einmal. Sie stand an der offenen Haustüre und lächelte zurück. Plötzlich jagte laut kläffend, zuerst ein kleinerer dann ein grösserer Schatten direkt an Moira vorbei, sodass sie sich gerade noch mit einem Sprung zur Seite in Sicherheit bringen konnte. Dieser blöde Hund seines Nachbarn, hetzte hinter seinem Kater Snoop die Treppe hoch und direkt auf ihn zu. Robin sah die Gefahr kommen, doch da er gerade die nächsten drei Stufen in Angriff genommen hatte und sich somit mit beiden Beinen in der Luft befand, kam jegliches Ausweichmanöver zu spät. Er stolperte über den Hund hinweg und stürzte Kopf voran die letzten paar Stufen in die Tiefe. Robin hörte noch wie dieser doofe Köter jaulte, sein Kater Snoop miaute und Moira entsetzt aufschrie, dann hörte und sah er nichts mehr.
Das war vor etwas mehr als zwei Wochen gewesen, jetzt lag er hier im Spital mit einem dicken Verband um den Kopf und einem offenen Unterschenkelbeinbruch, der operiert werden musste. Robin hob den Kopf und sah an sich hinunter. Sein Bein war mit Platten und Schrauben an einer speziellen Aufhängung fixiert. Er konnte sich nicht an die letzten zwei Wochen hier im Spital erinnern, denn er lag wegen seinen Verletzungen in einem künstlichen Koma. Erst vor zwei Tagen hatte man ihn aus dem Tiefschlaf zurückgeholt und so fand er sich in dieser miesen Lage wieder. Die Wunde hätte sich infiziert, erklärte ihm sein Arzt und sein Körper hätte einen harten Kampf mit grünen Teufeln austragen müssen, wie der Mediziner die gemeinen Bakterien fast liebevoll zu nennen pflegte. Die Gefahr sei jetzt aber vorüber und er wieder auf dem besten Weg zur Genesung.
Es klopfte. Robin drehte den Kopf zur Tür und musste ein paarmal blinzeln.
Moira trat dahinter hervor und lächelte ihn verheissungsvoll an!